Kein Auge kein Ohr
Kein Gehirn das die Welt erzählt kein
Auge kein Ohr das Weite wahrnimmt und
Welt darin findet
Sind es die Wurzeln die diese Meister
des Gleichgewichts in der Erde verankern
ist es das Blatt
Erfindet der Stamm der Sorge trägt für
Licht und Raum steigende sinkende
Ströme die Welt
Knüpfen etwa die Zellen des Kambiums
jenes Netz in dem Baum um Baum sich
entwirft
Als kompaktes Wunder aus Sonne und Luft
das vorzeiten schon und weiterhin und wie
nebenbei Leben erhält
Die Beschaffenheit der eigenen Welt je-
doch verbirgt und uns dieses Rätsel
zumutet
(S.11)
Lettern
Wer hat das Schattenalphabeth der
Bäume gefunden wer deutet ihr
Knacken ihr Murmeln im Fledermaus-
Licht vor der dunkelnden Fläche
des Parks
Wer entziffert die in den Ästen
verborgenen Lettern die Eulen wer
die verflochtenen Signaturen von
Rinde und Borke diesen un-
bändigen Wurzeln
Wem gilt der Eulenruf wer außer
den durch die Hecken raschelnden
kleinen Tieren den im Halbschlaf
plaudernden Vögeln welches Ohr
hat ihn gehört
Wer hat sie gesehen lautlos mit
weit gebreiteten Schwingen von
Eiche zu Eiche den Lettern folgend
dem Trapsen winziger Füße der be-
wegten Nacht
(S.23)
Zwielicht
Als teilten Hainbäume ein Geheimnis | eine
Sprache | ein Einverständnis der Wurzeln
der gemeinsamen Erfahrung | als wären diese
Haine von einem unsichtbaren Netz aus
Wahrscheinlichkeitsfeldern durchzogen
Als könnte hier im fragwürdigen Zwielicht
etwas geschehen wenn ich mich abwende | nur
umdrehe | etwas Ungreifbares | eine Erwartung
als wären die Bäume einander näher gerückt
um gerade jetzt Materie zu aktualisieren
(S.37)