ROSENSTEIN ist eine Hommage an den Stuttgarter Rosensteinpark, einen der schönsten Landschaftsgärten Südwestdeutschlands mit sehr alten Bäumen, weiten Wiesenflächen und einer vielfältigen Tierwelt, ein in den letzten hundert Jahren immer wieder gefährdetes Kulturdenkmal, aktuell durch die Unterquerung ( B10-Straßentunnel, Bahnprojekt Stuttgart-Ulm, ) des Geländes, damit zusammenhängende Baumaßnahmen und deren Folgen.
Der Zyklus besteht aus Naturgedichten, in denen über Sprache und Lesarten (in) der Natur nachgedacht wird. Selbst die Pflanzenforschung verwendet sprachliche Zuschreibungen, es ist von 'Duftvokabular' die Rede, von 'murmelnden Wurzeln'. Der Biologe Francis Hallée sagt: Bäume fügen Düfte zu Sätzen wie wir die Worte. Keyserling lotet diese Lesarten aus. Sie spielt mit ihnen und ihrem Blickwinkel als Beobachterin.
Die
Gedichte (und die ursprüngliche Fotodokumentation von ca. 400 Bildern) folgen dem Naturkreislauf als strukturierendes Element.
Das besondere an Keyserlings Poetik ist das Infragestellen der Wahrnehmung durch meist ganzheitliche naturwissenschaftliche und aktuelle naturphilosophische Konzepte.
Das Gehirn erfindet die Welt anscheinend nur ungefähr entsprechend einer Wirklichkeit, die wir nicht direkt wahrnehmen (Wolfram Schommers). Das zeigt, dass unsere Welt nicht die Realität selbst ist, sondern eine Beschreibung der Realität. Wie ein literarischer Text.
Was bedeutet das für die Darstellung von Welt im Gedicht? Wie verändert sich poetisches Sprechen über Natur, wenn sich hier unbekannte Räume öffnen? Keyserling stellt in ihren Gedichten vor allem Fragen. Dabei entsteht gegenüber der gewohnten Sichtweise eine Verfremdung, durch die Natur als eigenständig dargestellt werden kann.
Das Zitat zu Beginn des Epilogs bezieht sich auf eine Theorie der Wissenschafler Maturana und Varela. Keyserling fragt, wie sehen Geschichten aus, die sich in Zellen einschreiben? Und woran werden sich überlebende Bäume erinnern?
Mit den noch relativ neuen Erkenntnissen der Pflanzenkommunikationsforschung, die Keyserling erst im Sommer 2014 für sich entdeckte, nach der Pflanzen ein anderer Entwurf der Evolution zu sein scheinen, eigenständige Lebewesen also, mit nach ihrer Lebenswelt entwickelten Möglichkeiten wie Tiere, fügen sich die verschiedenen Ansätze zu einem einander ergänzenden logischen Bild.